Die gemeinsame Bocholter Erklärung der Stadtverordnetenversammlung und die Erklärung der Bürgermeister im Kreis Borken. Die Grünen nehmen Stellung dazu

Arno Heipel

Am 22. Oktober 2023 haben die Bocholter*innen den Bürgerentscheid gegen die Flüchtlingsunterkunft deutlich abgewiesen, 250 Flüchtlinge Am Takenkamp untergebracht werden. Außer der AFD haben sich die Parteien und Fraktionen in der Bocholter Erklärung zu Bocholt als weltoffener Stadt bekannt und dies auch wochenlang an gemeinsamen Ständen in der Innenstadt vertreten.

Eine Woche später geben die Bürgermeister*innen im Kreis Borken eine Erklärung mit den bekannten populistischen Forderungen heraus, in der es darum geht, zu vermeiden, dass Flüchtlinge nach Bocholt und anderswo kommen. Ohne Absprache mit den Fraktionen im Rat hat der Bocholter Bürgermeisters diese Erklärung mitgetragen.

In der Bocholter Erklärung brachte der Rat mit überwältigender Mehrheit eine andere Haltung zum Ausdruck:

  • Wir wissen um die Herausforderungen die auf die Stadt zukommen, diese Menschen zu integrieren.
  • Wir nehmen diese Menschen, die aus ihrer Heimat wegen Krieg, Gewalt, Zerstörung, Verfolgung geflohen sind, in unserer Stadt auf.
  • Wir wollen diese Menschen nicht in einem Lager am Stadtrand oder in Turmhallen unterbringen, wir wollen sie in das Leben der Stadt integrieren.

Mit dieser Haltung hob sich Bocholt wohltuend von der allgemeinen Diskussion ab, in der Flüchtlinge und Schutzsuchende alles andere als willkommen sind.

Die Bürgermeister-Erklärung stellt in dieser Situation einen Rückschritt dar

Die Bocholter Erklärung und der Einsatz an den Infoständen in der Stadt wird damit infrage gestellt.
Zum Inhalt der Bürgermeister-Erklärung haben die Grünen im Kreis Borken eine Kritik herausgegeben der wir uns anschließen und die wir auszugsweise an dieser Stelle wiedergeben:
Die Städte und Gemeinden sind mit der Unterbringung und Integration von geflüchteten Menschen fraglos vor umfangreiche Aufgaben gestellt, die beispielsweise bei der Unterbringung der Menschen und der personellen und sachlichen Ausstattung von Schulen und Kindergärten große Anstrengungen erfordert, bei der die Kommunen zu Recht Unterstützung von Land und Bund einfordern. Neben der legitimen Einforderung von Unterstützung enthält die Erklärung jedoch auch ein Sammelsurium bundespolitischer Forderungen der CDU nach Verschärfung des Asylrechts, die in den vergangenen Monaten vielfach in den Medien zu lesen waren.
Dies spiegelt sich auch in der Erklärung der Bürgermeister*innen wider.

Es ist von der Gefahr einer „unbegrenzten Zuweisung“ die Rede, ebenso von „Wirtschaftsflüchtlingen“. Damit werden in der Bevölkerung Ängste einerseits vor einer Überbelastung geschürt, andererseits wird die individuelle Notlage der Betroffenen auf wirtschaftliche Motive reduziert. Dies führt dazu, dass gesellschaftliche Solidarität und Aufnahmebereitschaft der Schutzsuchenden drastisch sinken.
In dem Papier geht es nicht um konstruktive und nachhaltige Lösungen für die Schutzsuchenden, es geht darum, sie von Europa fernzuhalten, es geht um Abschreckung.
So ist in der Bürgermeister-Erklärung ist von Pull-Faktoren die Rede. Gemeint ist damit die Kürzungen Sozialleistungen für die Betroffenen. Hier werden vielfach vorhandene Vorurteile und Einstellungen aufgegriffen, weniger auf Fakten. Daten der Asylagentur der Europäischen Union zeigen deutlich, dass bei den Asylanträgen in Europa die Sozialleistungen als Antragsgrund deutlich überbewertet werden. Die Menschen zieht es vor allem dorthin, wo sie Freunde oder Familie haben, weniger die Höhe der Sozialleistungen. Wenn es keine wirksame Fluchtursachenbekämpfung und bessere Verteilung Geflüchteter innerhalb der Europäischen Union gibt, kommen auch bei einer deutlichen Senkung der Standards weiterhin viele nach Deutschland.
Teil dieser Abschreckungs-Strategie ist die Forderung, Sachleistungen und Bezahlkarten bei der Versorgung der Geflüchteten einzuführen. Flächendeckend Sachleistungen auszuhändigen, führt zu bürokratischen Mehraufwand und belastet die Kommunen zusätzlich, statt sie zu entlasten. Sinnvoll könnten Sachleistungen nur in Erstaufnahmeeinrichtungen ausgegeben werden, nicht aber in der Fläche. In Bayern ist der Versuch einer ‚Prepaid-Karte‘ für Geflüchtete in den sogenannten Ankerzentren gescheitert. Die Karten sollten monatlich aufgeladen werden. Ziel war die Eindämmung angeblicher Pull Effekte und die Finanzierung von Schlepperkriminalität. Die Karte wurde drei Monate lang erfolglos getestet, genauso wie auch ein Testlauf im Landkreis Erding abgebrochen werden musste.

Was wir brauchen, ist ein Paradigmen-Wechsel zu einer humanen Flüchtlingspolitik
Es bietet sich an, zurückzublicken. In 2015 kamen wesentlich mehr Flüchtlinge nach Bocholt, die Menschen mussten in Turnhallen untergebracht werden. In dieser Zeit hat die Stadtverwaltung in Bocholt ein Handlungskonzept für Flüchtlinge herausgebracht. Die darin aufgeführten Ziele sprechen für sich, wenn man sie mit dem Bürgermeister*innen-Papier vergleicht.

  • Bocholt soll eine für jeden Menschen offene, wachsende und liebenswerte Stadt sein, in der alle Menschen willkommen sind!
  • Die Vielfältigkeit der Menschen ist ein Gewinn für alle Bocholter.
  • Der tolerante Umgang untereinander in der Vielfalt der Hautfarben, der Lebensmodelle, der Geschlechter, der Glaubensausrichtung, der Bildung, der Lebenserfahrungen oder der physischen und psychischen Verfassung ist uns Bewohnerinnen und Bewohnern Bocholts wichtig.
  • Der rechtliche Status eines Menschen tritt in Bocholt in den Hintergrund, es entscheidet sein Dasein.
  • Eine authentisch gelebte Willkommenskultur nutzt und fördert das Engagement aller Bürgerinnen und Bürger in Bocholt und ist auch die Antwort auf den demografischen Wandel: durch Attraktivitätssteigerung Bocholts als lebensoffene Gesellschaft für alle.
  • Je vielfältiger die Bevölkerung unserer Stadt ist, desto kreativere und innovativere Antworten auf die großen Fragen der Zukunft lassen sich finden.
  • Eine kreative und innovative Bevölkerung sichert Arbeit, sichert Einkommen, sichert Zukunft und stabilisiert das Sozialgefüge unserer Stadt.

In einer Situation, in der viele Menschen verunsichert wegen der Flüchtlinge sind, hätten wir von unserem Bürgermeister erwartet, dass er die Bürger*innen dieser Stadt aufruft, mitzuhelfen, die Menschen, die bei uns Schutz suchen, in unserer Stadt aufzunehmen und in das Leben in Bocholt zu integrieren. Das ist eine Herausforderung für die Stadt. Wenn wir es schaffen, diese Menschen zu integrieren liegt in ihnen auch eine Chance. Laut den Wirtschaftsweisen brauchen wir in unserer alternden Gesellschaft ca. 100.000 Menschen im Jahr, die netto zuwandern, um hier zu arbeiten, auch um unsere Sozialversicherungssysteme zu sichern.

Arno Heipel
Sprecher BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ortsverband Bocholt