Haushaltsrede 2019

von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

 

Liebe Zuhörer, liebe Zuhörerinnen, Herr Bürgermeister,

wie im Sketch „Dinner for one“ erleben wir auch hier im Ratssaal „ the same procedure as every year“. Jedes Jahr wird darüber fabuliert, es müsse gespart werden, und jedes Jahr passiert – nichts!

Stattdessen erstellen die anderen Parteien muntere „Wünsch-dir-was-Listen“, als müssten wir nicht alle später die Zeche dafür zahlen.

Zur Erinnerung: Erst vor kurzem wurde die Grundsteuer um 50 % angehoben. Und mit dem Beschluss zur Errichtung einer neuen Trauerhalle beschloss die Stadtverordnetenversammlung in der vergangenen Ratsversammlung (mit Ausnahme der Stimme der GRÜNEN) eine über 50-prozentige Anhebung der Gebühren für die Nutzung derselbigen! Hat sich einer der Anwesenden vielleicht mal Gedanken darüber gemacht, was es für einen Menschen mit niedriger Rente, von denen es jedes Jahr mehr gibt, bedeutet, fast ein ganzes Monatseinkommen allein für die Nutzung der Trauerhalle zu zahlen? Das ist übrigens auch sehr häufig derjenige Personenkreis, der mit den fünfzig Sitzplätzen in der Trauerhalle völlig auskommt, jetzt aber für die wenigen Großbeerdigungen pro Jahr die Zeche mitbezahlen darf.

In Lampedusas Roman „Der Leopard“ heißt es so trefflich: “Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern“. In diesem Sinne fordern die GRÜNEN endlich ein Umdenken in Verwaltung und Politik. Vor allen Dingen aber fordern wir die Verwaltung auf, schnellstmöglich ein Entschuldungskonzept vorzulegen, wie wir es schon vor Jahren gefordert haben. Denn wir möchten, dass auch künftige Generationen noch finanziellen Handlungsspielraum haben und nicht durch angehäufte Schuldenberge ihrer Entfaltungsmöglichkeit beraubt werden.

Ein schönes Beispiel für die Anhäufung mindestens weiterer 5,4 Millionen Euro Schulden ist die heutige Beschlussfassung über den Zuschuss für das Schützenhaus. Natürlich fänden auch die GRÜNEN eine Ertüchtigung des Gebäudes wünschenswert. Allerdings halten wir es für unverantwortlich, wie schön das Projekt auch sein mag, dafür über fünf Millionen Euro neue Schulden zu machen. Ganz abgesehen davon, dass es kein überzeugendes Tragfähigkeitskonzept für die Unterhaltung der Pläne gibt und der Kostenrahmen bereits heute veraltet ist. Auch die vom Land NRW für das Projekt in Aussicht gestellten Fördermillionen sind mit Vorsicht zu genießen, denn NRW ist hoch verschuldet.

Große Teile von Politik und Verwaltung haben kein Problem damit, Millionen Euro für veraltete Verkehrskonzepte auszugeben, die einseitig auf das Auto fixiert sind. Die Klimakommune Bocholt, die sich fahrradfreundlich gibt, hat in den vergangenen Jahren gerade einmal vier Euro pro Kopf und Jahr für den Fahrradverkehr ausgegeben.

Selbst im Bundesdurchschnitt waren es fünf Euro pro Kopf und Jahr. Hier fordern wir ein deutliches Umsteuern von Finanzmitteln und Denkweisen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre es unserer Meinung nach, die komplette Innenstadt als Fahrradzone auszuweisen. Wie in den Fahrradstraßen hätte sich der Autoverkehr dann unterzuordnen. In einem zweiten Schritt wäre dann zu überlegen, inwieweit eine Ringspur allein dem Fahrradverkehr zu Verfügung zu stellen wäre.

Außerdem fordern wir deutliche Investitionen zur Verbesserung der Fahrradwege. Fahrradwege müssen überall so breit sein, dass es gefahrlos möglich ist andere Fahrradfahrer zu überholen, selbst wenn sie einen Anhänger haben.

Die Ampeln müssen auf Grünphasen für Radfahrer eingestellt werden, denn Radfahren muss Spaß machen, um den Anteil am Radverkehr zu erhöhen und den Autoverkehr zu reduzieren. Dazu bedarf es eines Konzeptes zur Steigerung der Attrakivität des Radfahrens und erheblich grösserer finanzieller Mittel für den Radverkehr.

Damit mehr Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen, fordern wir, dass Kinder, Jugendliche und Auszubildende die städtischen Busse künftig kostenlos nutzen dürfen. Für alle anderen Fahrgäste fordern wir ein einfach zu erwerbendes Ein-Euro-Tagesticket (auch per Bezahl-App), mit dem man den ganzen Tag ohne Beschränkung alle städtischen Busse benutzen kann.

 

Erhöhte Fahrgastzahlen durch den günstigen Nahverkehrstarif und Einsparungen bei der Schülerbeförderung würden wahrscheinlich auch nur zu unerheblichen Mehrkosten führen, dafür aber zu einer Entlastung der Straßen und zu besserer Luft.

Apropos bessere Luft: Wir plädieren nach wie vor dafür, in der Innenstadt einen Garten anzulegen. Der Klimawandel ist in vollem Gange und wir brauchen gerade in der Innenstadt mehr Grün, das eine wichtige Kühlfunktion hat. Zudem verbessert es die Aufenthaltsqualität und macht die Innenstadt attraktiver.

Ein solcher Garten ließ sich hervorragend dort anlegen, wo jetzt noch die Sparkasse residiert. Auf dem dahinterliegenden Mannes-Schlatt-Platz stehen schon heute alte, große Bäume, die in einen Garten integriert werden können. Stadtgarten statt Steinwüste ist lebenswerter als ein weiterer Betonklotz, der das innerstädtische Klima weiter aufheizt und für den die Bäume auf dem Mannes-Schlatt-Platz zum Opfer fallen würden! Auch die Bewohner der Innenstadt haben ein Anrecht auf Naherholung. Die Händler der Innenstadt klagen schon jetzt über leere Einkaufsstraßen, weil es im Sommer so heiß ist, dass niemand in die Innenstadt kommt. Ein schöner, kühler Garten mit Außengastronomie wäre da die erste Wahl.

 

Der Bürgermeister bietet zwar eine Bürgersprechstunde an, die sich aber bei genauerem Hinsehen als Bürgerverhinderungssprechstunde entpuppt. Bürger und Bürgerinnen können nämlich nicht einfach zum Gespräch zum Bürgermeister kommen.

Sie müssen vorher möglichst schriftlich ihr Anliegen formulieren. Wir finden, das hindert Menschen am Gespräch mit dem Bürgermeister. Andere Kommunen sind da viel fortschrittlicher. Da kann man sich schon zum „live chat“ mit Bürgermeistern treffen. Wir fänden es schön, wenn der Bürgermeister diesbezüglich bürgerfreundlicher werden würde.

 

Bürgerfreundlich ist auch die bundeseinheitliche Behördennummer 115, die den Bürgern und Bürgerinnen in vielen Kommunen das Leben erleichtert. Denn dort erfahren sie alles Wichtige zu den häufigsten Fragen an die Verwaltung. Lästiges Suchen nach Zuständigkeiten entfällt und die Fachabteilungen werden nicht durch unnötige Telefonate bei ihrer Arbeit unterbrochen. Auch im Falle eines außerordentlichen Ereignisses könnten die Bürgerinnen und Bürger dort schnelle Auskunft bekommen und müssten nicht die Nummern von Polizei und Feuerwehr blockieren, wie beim letzten Hochwasser passiert. Leider macht Bocholt keine Anstalten, die 115 einzuführen. Eine vertane Chance, wie wir finden.

 

Ebenso vertan, wie die Möglichkeit, die Finanzen wieder in solide Bahnen zu lenken. Seit Jahren brummt die städtische Wirtschaft, seit Jahren sprudeln die Steuereinnahmen. Dennoch gelingt es nicht, das Schuldenwachstum zu bremsen. Wie soll man den Wählerinnen und Wählern erklären, warum es nicht gelingt, die Ausgaben zu drosseln? Warum soll für die Kommune nicht gelten, was für jeden Privathaushalt gilt: Man kann nur soviel ausgeben, wie man einnimmt, sonst muss man irgendwann Insolvenz anmelden. Ja, sparen kann manchmal wehtun. Aber den Auguren der Anhebung des Schuldendeckels, die mit Investitionsstau und mangelnde Alternativen argumentieren, sei in Erinnerung gerufen, dass die Finanzkrise 2008 eindeutig männlich dominiert war. Und auch in Bocholt ist es eine Männerrunde die für mehr Schulden plädiert…

Die GRÜNEN hätten dem ursprünglichen Haushalt des Kämmerers fast zustimmen können (mit Ausnahme des Geldes für den Ring), dem mit den Fraktionsvorsitzenden ausgehandelten Kompromiss leider nicht.

„Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern“, in diesem Sinne: Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in das Jahr 2019.

Vera Timotijević
Stadtverordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ortsverband Bocholt

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